von Martina Reuter
'....Öffentlicher Raum lässt sich negativ umschreiben: es ist der nicht-private Raum, der Nicht-Museumsraum, der Nicht-Kunstraum....'. I 1 Isiehe: http://www.kunstmuseum.ch/andereorte/texte/
mlandert/mlgrundf.htm
Dieser Satz ist ein schönes Beispiel für die Verwirrungen zu Begriffen wie 'öffentlicher Raum' und 'Kunst im öffentlichen Raum'. Das einzig Richtige an diesem Satz ist die Feststellung, der öffentliche Raum wäre nicht der private. Aber weder lässt sich der öffentliche Raum nur negativ umschreiben, noch ist er der Nicht-Museumsraum oder der Nicht-Kunstraum. Die meisten Museen sind öffentliche Räume, auch wenn Eintritt gezahlt werden muss. Manche sind der Meinung, öffentlicher Raum wäre alles, was sich au&szli;erhalb von Gebäuden befindet, also kein Dach und keine Wände hätte. Der öffentliche Raum wird dann mit dem 'offenen' Raum verwechselt. Das würde auch erklären, warum der öffentliche Raum ein Nicht-Kunstraum sein soll, denn ohne Wände keine Kunst - wo sollte man sie sonst aufhängen, die Bilder?
Die Frage, was den öffentlichen und was den privaten Raum kennzeichnet, wird gesellschaftlich geregelt. In demokratischen Gesellschaften definiert sich der öffentliche Raum über die Möglichkeit zur Mitbestimmung aller wahlberechtigten BürgerInnen - durch Wahlen, durch Bürgerinitiativen, durch Volksbegehren etc. So einfach ist das. Denn die BürgerInnen sind Eigentümer des öffentlichen Raumes, sie zahlen Steuern, damit ihre gewählten Vertreter den öffentlichen Raum verwalten und erhalten. Und selbst wenn die Klagen über den zunehmenden Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen und die Privatisierung des öffentlichen Raumes laut werden, so geschieht auch das mit dem Einverständnis vieler BürgerInnen demokratischer Gesellschaften.
Die Neue Nationalgalerie in Berlin zum Beispiel zählt als staatliches Museum zum öffentlichen Raum, da von öffentlicher Hand finanziert und verwaltet. Wenn die BürgerInnen nun einen erheblichen Einwand gegen einen ihrer Meinung nach zu teuren Neuankauf haben, dann gibt es, zumindest theoretisch, Möglichkeiten sich dagegen zu wehren. Entweder sie wählen das nächste mal andere RepräsentantInnen, solche, von denen sie meinen, sie würden verantwortungsvoller mit Steuergeldern umgehen, oder sie bilden eine Bürgerinitiative, versuchen ein Volksbegehren einzuleiten, etc. Diese Möglichkeiten gibt es umgekehrt für die Öffentlichkeit bezüglich privater Museen natürlich nicht.
Das bedeutet nicht, dass die Kunst, die sich im allgemeinen in öffentlich finanzierten Museen findet, auch automatisch Kunst im öffentlichen Raum ist. So wie nicht jede künstlerische Installation, die sich au&szli;erhalb von Gebäuden befindet, deswegen auch schon Kunst im öffentlichen Raum sein muss. Kunst im öffentlichen Raum definiert sich nicht - auch wenn das der unglücklich gewählte Begriff so suggerieren könnte - über den Aufstellungs- oder Aufführungsort, sondern über den inhaltlichen Bezug zum Ort oder zu einem Thema öffentlichen Interesses.
Sehr wohl kann Kunst im öffentlichen Raum im Museum stattfinden, wenn sie zum Beispiel inhaltlich auf das Museum als öffentliche Einrichtung Bezug nimmt, dessen Auftrag hinterfragt oder erweitert. Eine künstlerische Installation hingegen, die sich als privater Auftrag und auf privatem Gelände eines Einkaufzentrums der ästhetischen Erbauung der Besucher widmet, ist keine Kunst im öffentlichen Raum, obwohl öffentlich zugänglich und unter freiem Himmel.
Es mag sein, dass das Verständnis von Kunst im öffentlichen Raum bei einigen auf die - 1953 vieldiskutierte - Hamburger Ausstellung 'Plastik im Freien' zurückgeht, deren damals wohl au&szli;ergewöhnlich scheinendes Anliegen es war, Kunstwerke auch au&szli;erhalb der Museen zu platzieren. Diese Plastiken sind aber nie für ihren Standort konzipiert worden, waren also Museumskunst. Das tatsächlich wenig Au&szli;ergewöhnliche daran war, dass bereits Unmengen an Plastiken aus früheren Jahrhunderten die Städte dieser Welt zierten, die allerdings nie fürs Museum, sondern immer mit inhaltlichem Bezug zum jeweiligen Standort konzipiert wurden, also einen Anspruch der Kunst im öffentlichen Raum eigentlich schon erfüllten. Die Geschichte der 'Kunst im öffentlichen Raum' wird von Deutschen, Amerikanern oder Engländern unterschiedlich geschrieben. Während viele englische Aufsätze in ihren historischen Abhandlungen der 'Art in Public Space' oder der 'Public Art' bereits in der Antike beginnen und wesentlich mehr auf die inhaltlichen und gesellschaftlichen Funktionen der Kunst im öffentlichen Raum eingehen, widmen sich deutsche Texte mehr der Befindlichkeit von KünstlerInnen und erklären die Entstehung der Kunst im öffentlichen Raum mit deren Autonomiebestrebungen, also ihrem Wunsch nach Unabhängigkeit erst von klerikalen und feudalen Auftraggebern, dann von Museen und schlussendlich von staatlichen, wohlmeinenden, aber der Kunstentwicklung hinterher hinkenden Förderabsichten wie den 'Kunst am Bau'-Programmen. Erst in den 70'ern wurde die Kunst im öffentlichen Raum langsam zu dem, wofür sie heute im allgemeinen steht.
Mit der Kunst im öffentlichen Raum haben viele KünstlerInnen wieder mehr und mehr die Aufmerksamkeit auf gesellschaftliche Themen gelenkt und somit der Kunst eine Aufgabe neben oder gar au&szli;erhalb ihrer ästhetischen Funktion zugedacht. Gerade das wird von Verteidigern eines falsch verstandenen Autonomiegedankens kritisiert. Autonomie sollte gleichgesetzt werden mit gesellschaftlicher Zweck- und Funktionsfreiheit. Fast könnte man meinen, ihnen erscheine das 'Kunst am Bau'-Programm, das Mosaik am Gemeindebau, noch kunstkompatibler.
Nun muss aber Kunst im öffentlichen Raum unterscheidbar sein von anderen künstlerischen äu&szli;erungen. Ein Kunstwerk, aufgestellt am Hermannplatz in Neukölln, das seine Funktion genauso gut auch im Foyer eines privaten Betriebsgebäudes in Riga/Lettland erfüllen kann, ist nichts anderes als eines der Kunstwerke, die 1953 im Hamburger Freien platziert wurden, und ist somit nicht notwendigerweise als Kunst im öffentlichen Raum zu führen.
Kunst im öffentlichen Raum kann verschiedene Funktionen haben. Sie thematisiert historische oder aktuelle Bezüge zum Ort, interveniert vor Ort oder lenkt die Aufmerksamkeit auf aktuelle Themen, die im öffentlichen Interesse stehen. Die Thematisierung eines historischen oder aktuellen Bezuges zum Ort kann ein Mahnmal zum Holocaust sein, oder eine Aktion zu einem stadtplanerischen Vorhaben. Eine Intervention vor Ort kann eine akustische Installation sein, die den Stra&szli;enlärm erträglicher macht, oder die Etablierung einer medizinischen Versorgung von Obdachlosen, falls es die vor Ort noch nicht gibt.
Kunst im öffentlichen Raum kann die Aufmerksamkeit auf ein Thema, wie zum Beispiel die Globalisierung, die im öffentlichen Interesse steht, lenken und dazu auch in private Räume eingreifen. Eine Künstlerin inszenierte eine solche Thematisierung vor einigen Jahren. Sie hat heimlich in den Umkleidekabinen einer internationalen und bei Jugendlichen äu&szli;erst beliebten Modekette Etiketten in Kleidungsstücke geklebt mit exakten Angaben, wie viel - oder besser gesagt: wie wenig die von diesem Unternehmen beschäftigten Frauen aus Ländern der dritten Welt an ihrer Näharbeit verdienen.
Der Aufmerksamkeitslenkung durch Kunst im öffentlichen Raum auf Defizite, Missstände, Versäumnisse wird seit einiger Zeit wegen der Konkurrenz ausreichender Informationsangebote in Zeitungen, Büchern, TV und Internet ihre Wirksamkeit abgesprochen. Ihre Wirksamkeit beruht aber, immer Gegensatz zu den genannten Massenmedien, auf dem Moment der unerwarteten Begegnung.
Und Kunst kann noch mehr. Der Kunstbegriff hat sich im Laufe der Jahrhunderte ständig gewandelt und mit ihm die Funktionen der Kunst, die Aufgaben, die sie übernommen hat. Das Wort Kunst stand viele Jahrhunderte für die Begriffe Wissen, Kenntnis, Fähigkeit, unabhängig von ästhetischem Anspruch. Deshalb ist ästhetik keine angestammte Bedingung und schon gar nicht identisch mit der Kunst, wie das leichthin angenommen wird. Weil sich Kunst keinen absoluten, für alle Zeiten gültigen Kriterien unterwirft, sondern ein gesellschaftlich vereinbarter Begriff ist, hat sie sich seit den 70er Jahren um einige Handlungsfelder erweitert. KünstlerInnen übernehmen Aufgaben bei der Mitgestaltung in Gesellschaft und Umwelt. Es braucht nicht unbedingt Leinwand und Farben, Stein und Mei&szli;el, um gestaltend tätig zu sein. Es gibt auch keinen nennbaren Grund, warum KünstlerInnen im Fiktionalen oder Beispielhaften, im Symbolischen oder Agitatorischen verbleiben müssen. Sie können ebenso gut an realen Bedingungen und deren Veränderungen mitarbeiten. Neben der Aufmerksamkeitslenkung auf ein bestimmtes gesellschaftliches Defizit oder Problem kann dieses durch die Kunst auch behoben werden.
Definiert man Kunst im öffentlichen Raum über ihre gesellschaftlichen Funktionen, so gibt es sie schon lange. Auch barocke Bildhauer haben Werke geschaffen, die die Absicht, im öffentlichen Raum ihre Wirkung zu tun, erfüllten. Die Frage ist nur, in wessen Interesse die KünstlerInnen arbeiten. Handeln sie im eigenen Interesse, definieren sie ihre Absicht selber, oder lassen sie sich von den Auftraggebern instrumentalisieren? Zunehmend wird die Angst geäu&szli;ert, dass sich gerade die Kunst im öffentlichen Raum instrumentalisieren lässt, weil sie zum Beispiel immer häufiger für die Lösung von Problemen der Stadtteilentwicklung direkt angefragt und einbezogen wird.
Doch eigenartig. Solange die Kunst im öffentlichen Raum nur ihre rein ästhetische Funktion oder einen puren Unterhaltungswert erfüllt, ist es den Kritikern egal, in wessen Dienst sie sich stellt, auch wenn sie durch die manipulative Kraft der ästhetik und die ablenkende Kraft der Unterhaltung Anliegen der Auftraggeber unterstützt.
Eine gesellschaftliche Zwecksetzung der Kunst bedeutet nicht Zweckentfremdung oder Missbrauch der Kunst durch Auftraggeber. Die Entscheidung, in welchen Dienst sich die Kunst stellt, denn dies tut sie immer, fällen allein die KünstlerInnen. Manche entscheiden sich für eine marktgängige Kunstproduktion, die sich in den Dienst von Angebot und Nachfrage des Kunstmarktes stellt, andere entscheiden sich für die Kunst im öffentlichen Raum. Den Kunstmarkt wird es nicht hindern, Versatzstücke von Kunstarbeiten im öffentlichen Raum zu musealisieren und so wieder dem Markt zuzuführen.
Und auch die Öffentlichkeit wird sich nicht hindern lassen, Arbeiten, die eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit gedacht waren, in den öffentlichen Raum zu überführen und für diesen nutzbar zu machen.
Dass der öffentliche Raum verloren geht, wie zur Zeit gerne und häufig festgestellt wird, liegt nicht an irgendwelchen halbmystischen Kulturverschiebungen. Es sind die neoliberalen Wirtschaftsstrategien, denen leider auch die Politik in die Hände spielt. Hervorragende Beispiele für die Folgen eines sich ausverkaufenden Staates durch Privatisierung und Herabsetzung der Steuern auf ein Minimum geben brasilianische Städte. In privatisierten und durch hohe Mauern von der Au&szli;enwelt abgeschotteten und scharf bewachten Bezirken und Siedlungen mit so romantischen Namen wie 'Alphaville' grenzen sich die Gewinner des Neoliberalismus von den Loosern, die nun auch vom Staat (beziehungsweise von dem, was sich an verbleibendem Rest noch so nennt) im Stich gelassen werden, ab. Die neoliberale Wirtschaft hat keine demokratische und soziale Aufgabe. Der Staat schon. So lange er funktionskräftig, weil noch nicht ausverkauft ist, kann er von den BürgerInnen mit demokratischen Mitteln, und das sind nicht wenige, an seinen Auftrag erinnert und zur Verantwortung gezogen werden.
Daran kann und soll sich die Kunst im öffentlichen Raum beteiligen, sie kann die Wichtigkeit des öffentlichen Raumes den Menschen verständlicher machen, sie dazu bewegen, sich wieder mehr an Debatten zu öffentlichen Themen und an der Mitgestaltung an der demokratischen Gesellschaft zu beteiligen.
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